von Nelly Limmer
München, 1.Januar 2015 --- Neujahr
Einen guten Morgen, liebe Hermine!
Neujahr, was macht es nur mit uns Menschen, mit unseren Stimmungen? Ein besonderer Tag, ein Datum, überall die sinnlos vielen und lauten Knallereien gestern, frohgemute Laune heute, gute Vorsätze, gutes Essen, eben Festtag. Dabei wurde doch nur ein Blatt abgerissen, das letzte allerdings vom gregorianischen Kalender 2014.
Beschwingt starte ich in diesen Neujahrstag mit einem Brief an Sie, um Ihnen noch etwas aus dem alten vergangenen Jahr zu erzählen.
„AB nach München“ - Künstlerinnen um 1900 – heißt eine besondere Ausstellung derzeit im Münchner Stadtmuseum. Wir haben sie uns angeschaut. Hermine, da musste ich wirklich immer wieder an Sie denken. 1914: Waren Sie aufgeregt als Ihre Eltern mit Ihnen gemeinsam beschlossen: Ab nach München? Waren Sie begeistert, mitgerissen wie in diesen Jahren emanzipierte, künstlerisch und friedenspolitisch engagierte Frauen andere Energien in die Welt trugen? Bestimmt waren Sie informiert von den mutigen Aktivitäten der Frauen, die 1915 am 28. April in Den Haag unter widrigsten Kriegsbedingungen die Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF)gründeten.
Ich bin übrigens auch schon lange in dieser Frauenorganisation und ab Juli, wenn wir heuer das Hundert Jahre Jubiläum feiern, könnten Sie dazu auch von mir zwei kleine Beiträge im Internet lesen. Immer wieder dieser Einsatz für ein friedliches Miteinander der Völker. Wird er je gelingen?
Doch jetzt waren wir ja eigentlich bei der Ausstellung über Künstlerinnen Ihrer Generation, Hermine. Viele spannende Namen, darunter Lotte Pritzel, ihre Berliner Freundin. Ich habe im Stadtmuseum Puppen von ihr gesehen, sehr fragile, etwas manierierte Wesen. Sie hätte wirklich keine lebensgroße Puppe für Oskar Kokoschka (O.K.) machen können, was er ja zuerst gern wollte, als er zu diesem Vorhaben seinen Freund Dr. Pagel in Berlin kontaktierte, der dann Sie empfahl.
Seit ich Sie kenne, Hermine, bewundere ich Ihren Versuch von damals, O.K. durch eine menschengroße Puppe glücklich zu machen. Wer fertigt schon so riesige Bälge, doch allenfalls jemand fürs Theater? Ich denke, dieser exzentrische Wunsch von O.K. hat mit seinen traumatischen Kriegserlebnissen, seinen schweren Verwundungen und natürlich mit der rigiden, schmerzlichen, kränkenden Zurückweisung durch
Alma Mahler zu tun.
Verworrene Verhältnisse! Wie schön wäre es gewesen, dieser Auftrag hätte zu Ihrem künstlerischen Durchbruch geführt.
O.K. hat übrigens bald nach Ihrem frühen Tod schwerste Jahre gehabt. Gleich nach 1933 galt er Hitler als „Kunstfeind Nr.1“. Als einer der ersten „entarteten“, verfemten Künstler hatte er keine Auftragschancen mehr in Deutschland, über Wien, Prag konnte er mit seiner späteren Frau Olda noch nach London fliehen. Erst nach dem 2.Weltkrieg kam er zu Erfolg und Wohlstand.
Sein Lebensweg erinnert mich an einen Ausspruch unseres bedeutendsten Logiergastes hier in der Wohnung, an H.G.Adler, der viele Jahre regelmäßig einige Wochen bei uns verbrachte, um unter anderem am Institut für Zeitgeschichte zu arbeiten. Wir wissen, dass er einer der letzten Universalgelehrten des 20.Jahrhunderts war.
Ich zitiere ihn dennoch nicht als Soziologen, nicht als Historiker, nicht als Literat, nicht als Musikwissenschaftler, sondern als einen Freund und Mentor, der trotz seiner biographischen Schrecknisse in den Konzentrationslagern voller heiterer Selbstironie Sätze sagen konnte wie: “Ich kann, glaube ich, mit Recht sagen, dass ich der erfolgloseste, unbekannteste und verkannteste deutschsprachige Autor von einiger Begabung bin"(so nach F.Hocheneder). Oder: "Für meine Erfolglosigkeit bin ich berühmt".
Auch H.G. Adler erfuhr erst gegen Ende seines Lebens die längst überfällige internationale Würdigung.
Nochmals zurück, Hermine, zu Puppen bzw. zu künstlerischem Durchbruch: Heute noch werden in „Ihrer“ Wohnung u.a. Puppen-Objekte verfertigt von Hans Limmer. Auf dem Schrank im Flur wartet ein Schaufensterpuppenkind auf künstlerische Gestaltung, eine Skulptur vom letzten Sommer könnten Sie in Hans Limmers Zimmer besichtigen, und die arme „Immakulata“, eine versehrte Schaufensterpuppe, der die Arme fehlen, sie wohnt jetzt im Keller.
Wir fuhren sie 2002 am 10. Dezember, nach dem katholischen
Kirchenkalender der "Tag der Unbefleckten Empfängnis Mariä", in ihrem hölzernen Buggy über den Schwabinger Weihnachts- und Künstlermarkt. Es war dort wie häufig bei Kunstbetrachtungen, die einen
sind geschockt, die andern begeistert. Obwohl Hans Limmer seit 20 Jahren produziert,(Hans Limmer, Galerie 49), nicht nur Puppen, muss auch er auf seinen Durchbruch warten, posthum, vielleicht?
Eine von den wenigen Künstlerinnen der Jahrhundertwende, die rasch reüssierte, sitzt in meiner Vitrine. Nein, natürlich nicht sie selbst, nur eines ihrer Werke: Eine Käthe Kruse
Puppe aus Vorkriegsbeständen - mein Elschen; es hat viel erlebt, war 1951 mit auf meiner 2. Flucht aus der DDR, so nannte man im vorigen
Jahrhundert den östlichen Teil Deutschlands, der am Kriegsende russischer Oberhoheit unterstellt und erst 1989 wieder mit dem westlichen Teil verbunden wurde.
Auch Sie, Hermine, hatten sicher von Käthe Kruse gehört, sie löste ja 1910 eine Art Puppenboom aus mit ihrer Ausstellung im Berliner Kaufhaus Tietz, dem heutigen KaDeWe.
Merkwürdig, die Assoziation Mädchen und Puppe hat sich bis heute nicht geändert, so findet sich die aus USA eingewanderte, magersüchtige Barbiepuppe in jedem Kaufhausregal und wird nahezu
ausschließlich für Mädchen gekauft. Heutiger Überfluss, auch bei Puppen-Accessoires, führte zu einem internationalen hybriden Barbie-Kult. Grundsätzlich sind Puppen aus den Kulturkreisen der Welt
nicht weg zu denken, hoffentlich kommen bald einmal auch andere Puppen auf den Markt, vor allem für kleine Buben.
Diese Rollenzuteilung bei Kindern passt überhaupt nicht zu dem heutigen Leben der Berufstätigen, wo Frauen, Gleichberechtigung, Frauenquoten, Topmanagerinnen…
gefragt sind.
Und wo auch nicht einmal mehr der Küchenherd und –topf eine weibliche Domäne ist. So hat heute Hans Limmer gekocht und ruft zum Essen. Es riecht wunderbar und ich eile, grüße Sie, Hermine,
heute ganz schnell und ziemlich fröhlich,
Nelly Limmer