Briefe ins Gestern - AN HERMINE MOOS

von Nelly Limmer


 

München, 22. August 2014

 

Liebe Hermine,

 

Ihre rasche Erwiderung auf mein erstes Schreiben an Sie hat mich erfreut, Ihre Fragen ermuntern mich zu "postwendender" Antwort. Sie haben vollkommen Recht, wenn Sie zunächst wissen möchten wie ich auf Sie - und damit auch auf Ihre Familie - als vormalige Mieter in K29 gekommen bin. Eine Kette verschiedener Zufälle und Verknüpfungen.

Berlin zwischen 1955 und 1960:

Mein Mann, Hans Limmer, Politologe (später, 1983-1995, Programmdirektor der Münchner Volkshochschule) und ich studierten damals dort. Ich wohnte in Bln.Zehlendorf bei Eva Voss zur Untermiete. Sie war eine lebenslängliche enge Freundin meiner Eltern.

Eva Voss
Eva Voss

Viel erzählte Eva Voss, genannt Mimi, aus ihrem bewegten Berliner Leben; u.a. von Dr. Gerhard Pagel - in den zwanziger Jahren von München nach Berlin umgezogen - und seiner Frau Lotte Pritzel, genannt Puma. Na, klingeln Ihnen bei diesen Namen die Ohren?

Wie ich später hörte, kannten Sie ja das wilde Ehepaar Pritzel/Pagel auch sehr lange, erst in Schwabing, dann gab es bei Ihren Berlinbesuchen regen freundschaftlichen Austausch, sicher oft auch künstlerischen, denn Lotte Pritzel war eine renommierte Puppenmacherin (daher wohl PuMa genannt?) mit ganz anderen künstlerischen Ansätzen als ich sie bei Ihnen wahrnehmen konnte. 

Viele, viele Jahre später, 2011, machte Mimis Enkeltochter, Justina Schreiber, Journalistin beim Bayer.Rundfunk und uns bekannt über die Generationenfreundschaft ihrer und meiner Familie einen Dokumentarbericht (das nennt man heute Feature) über Sie, liebe Hermine. Sie, die Schöpferin der Almapuppe.

Die Alma-Puppe vor dem Wohnzimmerfenster Kunigundenstrasse 29 mit Fetisch-Püppchen auf der Hand, 1919
Die Alma-Puppe vor dem Wohnzimmerfenster Kunigundenstrasse 29 mit Fetisch-Püppchen auf der Hand, 1919

J. Schreiber fand bei ihren Recherchen für das Feature ihre Wohnadresse München, Kunigundenstraße 29. Und sie besitzt aus dem Nachlass ihrer Großmutter "Mimi" ein lange unbekanntes Foto von der "stillen Frau" an "unserem" Wohnzimmerfenster; zweifelsfrei unser Wohnzimmerfenster.

J. Schreiber wollte gern eine Veranstaltung zum Thema Almapuppe am authentischen Ort ihrer Rundfunksendung zur Seite stellen. Und so luden wir November 2012 in unsere Wohnung – also an Ihren vormaligen Arbeitsplatz, Hermine, – mehrmals die Öffentlichkeit ein, um zu hören, von sehr guten Schauspielern gelesen oder von J. Schreiber selbst vorgetragen, was über Sie, Ihre Briefbeziehung zu Oskar Kokoschka, über Ihr Werk und seine Aufnahme in Dresden zu erfahren war. Wir sahen Bilder, zum Teil das erste Mal gezeigt.

Dabei war es mir Freude, Hermine, ja Amüsement,zu sehen, welch Witz in Ihrer Umsetzung von Kokoschkas detaillierten Anweisungen lag. War das Püppchen auf der Hand der großen Almapuppe nicht gar ein ironischer Kommentar zum Auftrag? War die am Ende in die Kunstgeschichte als misslungen eingegangene gesamte Anfertigung des Alma-Fetischs nicht sogar eine frühe feministisch-satirische Anspielung, ein kleiner „Giftpfeil“ auf den großmächtigen Kokoschka?

Das Klavierspiel zwischen den Lesungen, den Bildern ließ Zeit für solche Phantasien. Ob Sie, Hermine, auch ein Klavier besaßen für Hausmusik, gar einen Flügel? frage ich mich. Auf jeden Fall: An diesem Abend zeichneten J. Schreiber und die lesenden Schauspieler ein schönes eindringliches Bild Ihres kurzen Lebens und Schaffens, mit Fokus auf der Verfertigung der Almapuppe.

So habe ich Sie kennen gelernt.

 

Nach dem Hinweis eines Freundes, der bei der Lesung dabei war, dem Münchner Künstler Wolfram Kastner, haben wir dann in dem „Biographisches Gedenkbuch der Münchner Juden" gesucht nach weiteren jüdischen ehemaligen Hausbewohnern. Dabei haben wir die Namen von sieben Menschen gefunden, registriert teils als Mitbewohner der Parterrewohnung Ihrer Familie, teils im 1.Stock. Besonders wichtig waren uns die Daten Ihrer Familie.

Dazu muss ich aber leider über ein Ärgernis, Versäumnis von mir und von Hans Limmer sprechen: Als so um 2005/08 das große informierende Werk entstand "ausgegrenzt-entrechtet-deportiert, Schwabing und Schwabinger Schicksale 1933-1945", an dem einige Freunde mitwirkten, wurden auch wir gebeten zu suchen nach Namen früherer jüdischer  Bewohner der Kunigundenstraße 29. Die Staatsbibliothek wurde empfohlen; dort war die Nachfrage ergebnislos, danach haben wir wohl zu früh aufgegeben.

Noch heute ärgert es mich ganz erheblich, dass  Ihrer Familie  in dieser so wichtigen Dokumentation  kein würdigender Absatz gewidmet wurde. Vielleicht in einer weiteren Auflage?

Soweit für heute. Demnächst aber nun endlich über die "wiedergefundenen" jüdischen Bewohner von K 29. Liebevolle Erinnerungen an die Ihnen so eng verbundene Schwester Henriette und an Ihre verehrten Eltern werden für Sie auftauchen.

 

Ich grüße Sie herzlich,


Nelly Limmer